Ich, Johannes Röthlin alias tscheiar, wurde in der Nähe von Luzern geboren. Die Touristenstadt im Herzen der Schweiz weckte in mir schon bald das Interesse für die Hotelbranche. Seit vielen Jahren befasse ich mich intensiv mit den historischen Grandhotels in Europa. Hotelblut in meinen Adern verdanke ich auch dem Onkel meiner Mutter. Er hiess Werner Durrer (1885-1958) und war ein geborener Gastgeber. Auf dieser Seite werfe ich einen Blick auf seine Herkunft, sein Leben und seine Hotels.
Im Geburtsjahr von Werner Durrer steht Alpnachstad kurz
davor, ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt für den Tourismus zu werden: Ab 1888
verkehrt die Eisenbahn zwischen Alpnachstad und Brienz, von wo der Weg ins
Berner Oberland führt. Von Luzern muss mit dem Schiff nach Stad gefahren und
hier auf den Zug umgestiegen werden.
Bereits ein Jahr später wird der Tunnel
durch den Lopper eröffnet, womit die Bahn von Luzern bis Brienz durchfahren
kann. Im gleichen Jahr 1889 geht die steilste Zahnradbahn der Welt, die von
Alpnachstad auf den Pilatus führt, in Betrieb. Alpnachstad ist auch Endstation
für den Schiffsverkehr von und nach Luzern.
Ein wichtiger Förderer der Pilatusbahn und des regionalen Tourismus war Major Melchior
Britschgi (1830-1904), der es bei der Päpstlichen Schweizergarde in Rom zu Ehre
und Ruhm gebracht hatte. Zurückgekehrt in sein Heimatort Alpnachstad lässt er
1863 das Hotel Pilatus in Stad bauen. Während dieses Hotel, direkt neben der
Talstation der Pilatusbahn und gegenüber der Brünigbahn, 1969 abgerissen wird,
steht das repräsentative Wohnhaus des Majors auch heute noch. Es wurde vor
kurzem renoviert.
Der Vater von Werner Durrer war ein Zeitgenosse von
Britschgi. Sein Lebensweg verlief jedoch bodenständiger:
Er war als Kutscher auf
der Brüniglinie tätig. Zwischen 1861 und 1888 bestand zwischen Alpnachstad und
Meiringen eine Verbindung mit Pferdekutschen. Durrer war Vater von acht Kindern.
Die Kinder mussten schon in jungen Jahren Geld verdienen. Interessant ist noch
ein Blick auf seinen Bruder Franz-Sepp, den Onkel der Kinder.
Franz-Sepp Durrer (1848-1916) soll 1868 als Sänftenträger
Königin Victoria von Grossbritannien auf den Pilatus getragen haben. Allerdings
reiste die Königin inkognito und es kursiert über sie die gleiche Legende mit
der Königin der Berge: die Rigi. Ob die Queen also von Franz-Sepp auf den
Pilatus oder ob von jemand anderem auf die Rigi getragen wurde, ist historisch
nicht belegt. Gut möglich, dass sie bei Berge besuchte. Gewohnt haben soll sie in der Villa Wallis in Luzern.
Franz-Sepp Durrer wird es als Verwalter des Schloss Meggenhorn,
das in der Nähe von Luzern liegt, wieder mit der „oberen“ Gesellschaft zu tun
haben. Die Besitzerin des Schlosses ist nämlich Marie Louise Heine aus Paris,
eine Verwandte des Dichters Heinrich Heine. Durrer heiratet eine Anna Maria
Barbara Sigrist aus Meggen und hat mit ihr zahlreiche Kinder. Marie Louise
Heine bringt diesen Kindern jeweils wertvolle Geschenke und
Kleiderausstattungen aus Paris mit. Dies zeigt die Fotografie mit den Kindern,
die im Luzerner Fotoatelier von Emil Goetz aufgenommen wurde, auf das
Vortrefflichste.
Kehren wir wieder zu Werner Durrer zurück. Seine ältere
Schwester Marie Röthlin-Durrer (1883-1956), meine Grossmutter, arbeitet schon
in jungen Jahren in der Hotelbranche. Ihr Weg führt sie nach Bordighera, St.
Petersburg, Nizza und nach Lindau am Bodensee. Hier arbeitet sie im Hotel
Bayerischer Hof, bevor sie dann meinen Grossvater Albert Röthlin (1886-1951)
heiratet. Marie Röthlin-Durrer hat ihr Leben lang eine fürsorgliche, loyale und
freundschaftliche Beziehung zu ihrem Bruder Werner.
Auch Werner Durrer (15.5.1885-7.2.1958) wählt
den Weg in die Hotelbranche. Schon als Kind betätigt er sich als Gepäckträger
für Gäste, die mit dem Schiff in Alpnachstad ankommen und zur Pilatusbahn oder
ins Hotel Pilatus wollen. Nach erfolgreich abgeschlossener Primarschule
kann er in Luzern als Hotelpage im Hotel Wilden Mann seine Ausbildung starten.
Der Wilde Mann entsteht ab 1860 aus mehreren Gebäuden zu einem Hotel. Heute gehört
das Haus als einziges in der Stadt zu den „Swiss Historic Hotels“.
Sein weiterer beruflicher Weg führt Werner
Durrer von der Luzerner Altstadt an die Seeuferpromenade in das Grand Hotel
National, das 1870 eröffnet wurde. Als 1906 ebenfalls am Quai das neu erstellte
Hotel Palace in seine erste Saison startet, wechselt er in dieses Haus. Ab dem Jahr
1909 sammelt Werner Durrer erste Erfahrungen im Ausland. Die Stationen dort
sind London, Nizza, Luxor und Alexandria.
Zu Beginn der 1930er Jahre kann Werner Durrer
seinen Traum vom eigenen Betrieb verwirklichen: Er kauft im Zentrum von
Engelberg das Hotel Victoria. Dieses wird 1901 als Hotel Hug mit 80 Betten eröffnet und 1904 in Hotel Viktoria,
später Victoria, umbenannt.
Im Hotelprospekt aus den 30er Jahren preist
Durrer das Haus als „komfortables Sporthotel mit grossen Gesellschaftsräumen,
Ballsaal, Bar, Restaurant und Schreibzimmer“ an.
Weiter: „Die meisten Schlafzimmer mit
fliessendem Kalt- und Warmwasser. Die Küche ist besonders gepflegt und
abwechslungsreich. Bedienung an kleinen Tischen.“ Neben den Hotelgästen ist das
Victoria traditionsgemäss auch bei den einheimischen Vereinen beliebt, die hier
ihre Anlässe durchführen.
In der Karfreitagsnacht vom 6. auf den 7. April 1939 bricht
im Hotel Victoria ein Brand aus. Bei den Löscharbeiten sterben zwei
Feuerwehrleute. Der 2. Weltkrieg steht vor der Tür. Das Hotel kann nicht mehr
aufgebaut werden. Nach diesem Verlust zieht Werner Durrer nach Zürich, wo er
als Angestellter arbeitet. Später errichtet die Obwaldner Kantonalbank ein
Wohnhaus mit Schalterlokal auf dem Grundstück des Victoria. 1988 zieht eine
Drogerie in das Haus. Der Vorplatz nennt sich in Erinnerung an das Hotel „Viktoria
Gärtli“.
Nach dem Krieg macht sich Werner Durrer wieder
auf die Suche nach einem eigenen Betrieb. Er scheint eine genaue Vorstellung vom
neuen Haus zu haben: Es soll wieder ein mittelgrosses und an zentraler Lage
gelegenes Hotel mit Restaurant sein, in dem auch Einheimische verkehren, so wie es
im Victoria in Engelberg gewesen ist. Im Frühjahr 1950 ist es soweit. Werner Durrer
kann das Hotel desAlpes in Luzern erwerben. Die Lage in der Altstadt und
direkt an der Reuss mit Blick auf die Kapellbrücke, den See, den Pilatus, den
Bahnhof und das Kunsthaus ist erstklassig.
Das Gebäude kann auf eine lange Geschichte
zurückblicken. Bereits 1553 wurde es als Wohnhaus erbaut. Auf dem Prospekt von 1597 sehen wir rechts die St. Peterskapelle, daneben ist es das vierte Wohnhaus von rechts. Ab 1874 wird es zum
Hotel erweitert. Seit 1901 nennt es sich Hotel des Alpes.
Als Werner Durrer das Haus übernimmt, ist das Restaurant als
Locanda Ticinese eingerichtet. Schon bald initiiert er den Umbau in ein gehobeneres
Restaurant, das den hohen Ansprüchen der Hotelgäste und der Einheimischen Rechnung
trägt. Durrer wird sich ein Beispiel an dem schönen Speisesaal im Hotel
Victoria genommen haben.
Im Jahr 1953 kann Werner Durrer zusammen mit Josef Hübscher,
einem Rechtsanwalt aus Luzern, die Villa „Les Beaux Cèdres“ in Montreux
erwerben. Durrer lässt das Anwesen zu einem Hotel ausbauen. Die Lage des
Gebäudes ist zwar ebenfalls zentral, aber das Hotel Nouvelle Poste, wie er es
nennt, kann nur als Saisonbetrieb geführt werden.Die beiden Geschäftspartner verpachten das Haus an Hans Odermatt, der
ebenfalls aus Luzern kommt. Für die Fotografie unten des Hotel Nouvelle Poste bedanke
ich mich bei der Familie Moser-Favre aus Olten.
Nach ein paar Wochen Ferien in Nizza, einem Ort seiner
Wanderjahre, stirbt er dort im Bahnhof am 7. Februar 1958 an einem Herzinfarkt.
Die Erben verkaufen das Hotel Nouvelle Poste, während sich das Hotel des Alpes noch
heute in Familienbesitz befindet. Werner Durrer wird im Zeitungs-Nachruf als
„ein hervorragender Fachmann, ein liebenswürdiger und jovialer Gesellschafter“
beschrieben. Weiter: „Die Gäste fühlten sich bei ihm zu Hause und kehrten gerne
zu ihm zurück. Er war ein aufrichtiger Freund und ein gütiger
Vorgesetzter. Für sich selbst war er
anspruchslos und bescheiden. Die Berufskollegen schätzten seine Fachtüchtigkeit
und sein freundliches Wesen.“