Die Anziehungskraft des HotelRaphael besteht kurz in einem Wort: Atmosphère. Dazu braucht es weder die Millionen eines Sultans oder Maharadschas noch die ausgefallenen Ideen eines Interior Designers, sondern stetige und liebevolle Pflege des historischen Erbes. Wer dies zu schätzen weiss, trifft mit diesem Haus eine glückliche Wahl. Es befindet sich auch heute noch in französischem Familienbesitz.
Nur ein paar Schritte vom Arc de Triomphe
entfernt steht an der Avenue Kléber das charmante Hotel Raphael. Nach Passieren
des diskreten Eingangs führen ein paar Treppenstufen in das Hochparterre. Der
alte Marmorboden der gangartigen Halle, genannt Galerie, bildet den perfekten
Rahmen für die echten Perserteppiche.
Die Wände sind mit altem Nussbaumholz verkleidet. Edle
Antiquitäten stehen links und rechts des Ganges. Gleich neben der Reception
hängt ein Original-Gemälde des englischen Malers William Turner. Eine gute Wertanlage für das Hotel!
Die zweite Türe rechts führt in die Le Bar Anglais,
die ebenfalls mit Holz verkleidet ist. Sofas und Stühle sind mit rotem Samt
bezogen. Wie es der Name verspricht: Eine englische Bar im traditionellen Stil.
Hier herrscht eine diskrete und distinguierte Atmosphäre, was eigentlich auch
für das ganze Haus gesagt werden kann.
So fühlen sich prominente Personen besonders gut
aufgehoben im Raphael. Die Bar bietet noch einen Nebenraum, der sich Lounge
„17“ nennt. Hier kann an kleinen Tischen in einem intimen Rahmen gespeist
werden. Für ein Dinner empfiehlt sich das Restaurant Raphael, das kürzlich in
hellen Farben aufgefrischt worden ist.
Am Abend ist die Bar Anglais gut besucht. Hektik
wir man hier jedoch nie antreffen. Wir bestellen zwei Martinis mit
Hendricks-Gin (EUR 23.-). Die Gläser werden mit Eis gekühlt. Der Cocktail kommt
in einer perfekten Grösse auf den Tisch und ist sehr trocken. Auf der Karte
steht: Vermouth ou pas. Dazu werden gesalzene Cashew-Nüsse und steinlose Oliven
gereicht. Die Papierservietten sind bedruckt. An diesem sympathischen Ort fällt es mir schwer,
Kritik zu üben:
Die Oliven dürften besserer Qualität sein. Ob Zitrone oder
Olive für den Cocktail bzw. Gurke wegen des Hendricks wurden wir nicht gefragt.
Für diesen grossen Cocktail wären im Frigo gekühlte Gläser sehr angenehm. Der
Service ist sehr aufmerksam und freundlich. Nüsse und Oliven werden ohne unsere
Bitte ausgewechselt. Die Bedienung ist absolut nicht aufdringlich. Wir können
in Ruhe unseren Cocktail trinken. Die Ruhe kommt auch aus den Boxen, denn in
dieser Bar wird nur selten Musik gespielt.
Dies trifft auch auf unseren Besuch an einem
späteren Mittag zu. Um diese Zeit wird an einigen Tischen noch gegessen. Wir
bestellen zwei Portionen Tee. Der Earl Grey und der Darjeeling werden in
Silberkännchen serviert, die Teetassen sind mit dem Hotellogo versehen. Dazu reicht uns der Kellner einen Teller mit hausgemachten Luxembourgerli,
Zitronencake und Schokoladen-Pralinen. So viel
Aufmerksamkeit und Freundlichkeit für einen Tee sind heute eine absolute
Ausnahme!
Das Hotel Raphael wird 1925 auf dem Grundstück einer Villa
mit Garten an der Avenue Kléber 17 durch den Architekten André Rousselot im
Art-Déco-Stil erstellt. Den Auftrag zum Bau dieses Kleinod erteilt Léonard
Tauber (1857-1944). Tauber ist der Sohn eines Hoteliers aus Wien. Er tritt in
die Fussstapfen seines Vaters. Wohl berufsbedingt lässt er sich 1881 in Paris
nieder. 1892 nimmt er die französische Staatsbürgerschaft an. 1900 kann er
zusammen mit seinem Geschäftspartner Constant Baverez das Hotel Regina an der Ecke Place des
Pyramides und Rue Rivoli eröffnen und sechs Jahre später das Hotel Majestic an
der Avenue Kléber in Auftrag gegeben.
Mit dem neuen Hotel Raphael, das direkt neben
dem Hotel Majestic steht, will Léonard Tauber für seine wertvolle Kunst- und
Antiquitätensammlung einen würdigen Rahmen und für seine immer reicheren Gäste
ein noch luxuriöseres und exklusiveres Haus schaffen. Dazu wendet er sich an
die besten Kunsthandwerker und Innenausstatter.
Sein guter Geschmack hat die Jahre überdauert
und kann auch heute noch im Haus bewundert werden. Der Eingangsbereich und
einzelne Zimmer und Suiten sind im Original erhalten, natürlich restauriert. Alkoven
trennen Bett- und Wohnbereich. Die Badezimmer sind mit Mosaik-Kacheln verziert.
Eingerichtet ist das Haus im Stil Louis XV und XVI. Der Name nimmt Bezug auf
den italienischen Maler Raffael.
Im siebten Stock wird eine wunderschöne Dachterrasse mit
Blick auf den Arc de Triomphe eingerichtet, die auch heute noch zwischen Mai
und September geöffnet hat und sich Raphael la Terrasse nennt. 1936 entschliesst
sich Tauber, das Hotel Majestic zu schliessen und das Gebäude an den
französischen Staat zu verkaufen. Seit dem Jahr 2014 dient der Palast wieder
als Hotel. The Peninsula Paris betreibt darin sein erstes Haus in Europa.
1944 stirbt Léonard Tauber. Somit gelangen die noch
verbliebenen Hotels Regina und Raphael an seinen Geschäftspartner Constant
Bavarez. Nachdem Constant Bavarez die Geschäftsleitung an seinen Sohn Dr. Paul
Bavarez übergeben hat, eröffnet dieser 1961 an der Rue la Perouse das „Hotel
Villa Majestic“, ein kleines Boutiquehotel. Somit kehrt der Name Majestic
wieder nach Paris zurück, wenn auch an einen anderen Standort.
Ab 1981 leitet die Tochter Françoise Bavarezdie drei
Hotels. Sie lässt 1985 das Hotel Raphael sorgfältig renovieren. Das Haus
bewahrt somit viel von seiner historischen Substanz. Madame Bavarez ist auch
dafür verantwortlich, dass die drei Hotels immer noch in französischen Familienbesitz
sind. Seit 2010 werden die „Les Hotels Bavarez“ von Tochter Véronique
Beauvais-Valcke geleitet, wobei Françoise Bavarez im
Verwaltungsrat weiterhin aktiv tätig ist.
Die Gäste-Liste des Hotel Raphael weist eine eindrückliche Anzahl prominenter Zeitgenossen auf. Dazu zählen vor allem Namen aus der Welt des Films: So wohnte Roberto Rossellini mit Ingrid Bergman längere Zeit hier, ebenso die Tochter der beiden, Isabella Rossellini. Jean-Pierre Melville, der Regisseur bekannter französischer Gangsterfilme, arbeitete gerne im Hotel Raphael an seinen Drehbüchern. Katherine Hepburn und Spencer Tracy logierten in der Suite 609 mit Blick auf den Arc de Triomphe. Und 1956 balanciert Cary Grant auf der Terrasse seiner Suite über dem Abgrund. Serge Gainsbourg wohnte sogar zeitweilig im Hotel Raphael, wo die Bar zu seinen bevorzugten Orten gehörte ...
Bei Hitlers halbtägiger Stippvisite im besetzten Paris mit
Albert Speer als Reiseleiter soll der Lunch im Hotel Raphael
eingenommen worden sein. Fest steht jedoch, dass damals Ernst Jünger im Raphael
logiert hat. Er gehörte als Besatzungsoffizier zum Stab des
Militärbefehlshabers von Frankreich, der im benachbarten ehemaligen Hotel
Majestic untergebracht war. Ernst Jünger, der sich nicht nur als Schriftsteller sondern auch als leidenschaftlicher Insektenkundler betätigte, vereint in seinem Schaffen die beiden Tätigkeiten: Seine Sicht auf den Menschen erfolgt fast völlig ohne Anteilnahme, genau so, wie es sich beim Blick auf die Insektenwelt als eine Selbstverständlichkeit darstellt. Nicht zuletzt diese emotionslose Darstellung seiner Figuren tragen ihm den Ausspruch von Thomas Mann ein, er sei "ein eiskalter Genüssling des Barbarismus".
Während dem Leser in Ernst Jüngers Buch "In Stahlgewittern" über den 1. Weltkrieg die Schrapnell-Granaten um die Ohren fliegen, darf er beim Lesen der Tagebuchaufzeichnungen "Strahlungen" über den 2. Weltkrieg und das besetzte Paris gemütlich im Sessel sitzen und ein Glas Burgunder mit Erdbeeren trinken ...